Von Prof. Dr. Michèle Knodt, TU Darmstadt
Im Dezember 2020 hat die Europäische Union über ein ehrgeizigeres EU-Klimaziel 2030 auf dem Weg zur Klimaneutralität 2050 entschieden. Beschlossen wurde, den Ausstoß von Treibhausgasen bis 2030 um mindestens 55 % im Vergleich zu 1990 zu senken. Dabei ging es um mehr als um eine bloße Willensbekundung zu größeren politischen Anstrengungen. Die Zielsetzung überformt auch die deutsche Klimapolitik. Expertinnen und Experten des BMBF-geförderten Kopernikus-Projekts ARIADNE zur Energiewende haben jetzt zentrale Szenarien der EU-Kommission durchleuchtet. Die Analyse zeigt: Setzt die EU weiter auf einen bunten Mix von Instrumenten ohne klares Konzept für deren Zusammenspiel, läuft sie Gefahr, an ihren neuen Zielen zu scheitern.
Drei Politikpfade in Form unterschiedlicher Szenarien sieht die EU-Kommission als zielführend und hat sie zur Debatte gestellt: Die EU könnte entweder regulative Maßnahmen verstärken, insbesondere durch eine starke Intensivierung der Politiken im Erneuerbaren Energien- und Energieeffizienzbereich. Sie könnte auch die CO2-Bepreisung durch Einführung eines Emissionshandels in den Bereichen Transport und Gebäude sowie für kleinere Industrieanlagen zum zentralen Leitinstrument machen. Oder sie könnte mit dem bisherigen Politikmix voranschreiten, in dem regulative Maßnahmen verstärkt werden, während der bestehende Emissionshandel für große Energie- und Industrieanlagen um einzelne Sektoren erweitert wird oder ein zweiter, neuer Emissionshandel parallel aufgebaut wird.
Jetzt haben Forschende aus dem Kopernikus-Projekt ARIADNE diese Politikpfade zum 55-Prozent-Ziel bis 2030 auf zwei entscheidende Faktoren untersucht: einerseits die kurzfristige Umsetzbarkeit und andererseits die langfristige Wahrscheinlichkeit der Zielerfüllung der Pfade.
„Alles auf Regulierung“ oder „Alles auf CO2-Bepreisung“?
In dem Regulierungs-Szenario würde die EU ihre Maßnahmen bei Energieeffizienz und Erneuerbaren Energien intensivieren. Dieser Pfad kann tiefe Eingriffe in nationale Energiestrukturen bewirken. In einem solchen Fall hat die EU bei Vorbehalten der Mitgliedstaaten nicht die rechtliche Kompetenz, diese Maßnahmen zu erlassen.
Allerdings bietet dieses Szenario eine hohe Wahrscheinlichkeit der langfristigen Zielerfüllung: Das Regulierungs-Szenario kann als ein in sich schlüssiges Gesetzespaket durch das Leitinstrument der EU-weiten Ziel- und Maßnahmenverschärfungen im Bereich der Erneuerbaren Energien und Energieeffizienz funktionieren. Voraussetzung ist aber, dass die bisherigen Durchsetzungsmechanismen der EU-Kommission gegenüber den Mitgliedstaaten, etwa durch Sanktionsmechanismen, verschärft werden.
In dem preisbasierten Szenario der EU-Kommission würde der CO2-Preis etwa durch einen stark ausgeweiteten Emissionshandel mit den neuen Sektoren Schifffahrt (intra-EU), Gebäude und Verkehr zum zentralen Leitinstrument. Dieser Pfad ist herausfordernd, weil die Politik und letztlich die Wirtschaft bereit sein müssen, gegebenenfalls sehr hohe CO2-Preise zu akzeptieren.
Der gewohnte Politikmix läuft Gefahr, sein Ziel zu verfehlen
„Als Mittelweg erscheint eine Veränderung des vertrauten Instrumenten-Mix als der Pfad, der kurzfristig am leichtesten in der EU durchsetzbar sein dürfte. Doch der Weg des geringsten Widerstands könnte langfristig Risiken bergen“, erläutert die Juristin und Professorin Sabine Schlacke von der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster, Mitglied des Ariadne-Konsortiums.
Ein Politikmix-Szenario funktioniert nur, wenn die sich teilweise überlappenden und unter Umständen auch gegenläufigen Instrumente und Durchsetzungsmechanismen für die Einhaltung der Ziele aufeinander abgestimmt werden. „Werden diese Inkohärenzen nicht adressiert und vorausschauend in das EU-Politikpaket eingearbeitet, bietet ein Mix am Ende nicht das Beste aus zwei Politikwelten, sondern führt im Gegenteil durch einander behindernde Maßnahmen am Klimaziel vorbei“, fasst Schlacke zusammen.
Ein glaubwürdiger Politikmix sollte deshalb nach einem klaren Regulierungsprinzip an den Klimaschutzzielen und aufeinander abgestimmten Instrumenten ausgerichtet werden, so die Einschätzung der Expertinnen und Experten des Kopernikus-Projekts Ariadne. Etwa entlang eines Leitinstruments zur Emissionsreduktion wie der CO2-Bepreisung, an dem regulatorisch flankierende Instrumente gezielt nicht erfasste Hemmnisse wie etwa den beschleunigten Ausbau der Infrastruktur adressieren.
Letztlich sollte ein Politikmix auch mit einem kontinuierlichen Anpassungsmechanismus ausgestattet werden, der die Zielerfüllung regelmäßig überprüft, fortentwickelt und sich an veränderte Rahmenbedingungen anpasst, etwa durch einen unabhängigen wissenschaftlichen Beirat. Für die Reform des regulatorischen Rahmens, für die die EU Kommission im nächsten Jahr erste Vorschläge vorlegen will, sollte dies dringend berücksichtigt werden, schließen die Fachleute. Sonst könnte der gerade erst mit dem Green Deal eingeschlagene Weg bereits auf den ersten Metern scheitern.
Hier finden Sie das ARIADNE Papier: